Diese Thesen wurden von Christ*innen, die im Internationalen Versöhnungsbund und/oder in der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) aktiv sind, am 14.08.2014 und am 30.10.2017 an die
Schlosskirche zu Wittenberg (an den Bauzaun bzw. an die Tür) geheftet.
- Re-formieren heißt zurück-formen, nämlich zurück zur Quelle; sich immer neu an Jesus Christus orientieren. Ecclesia semper reformanda! Die Kirche muss immer reformiert werden - auch heute.
- Martin Luther hat viele Bereiche der Kirche und des Lebens reformiert. Dabei hat er das Thema „Militär und Gewalt“ weitgehend ausgeklammert. An der Zusammenarbeit der Kirche mit dem Militär
hat sich durch die Reformation wenig geändert.
- Jesus von Nazareth hat gewaltlos gelebt. Er hat die Friedensstifter selig gesprochen. Er hat gelehrt, wie man aufrecht bleiben kann, auch wenn man angegriffen wird (Mt 5). Bei seiner
Verhaftung hat er sich nicht gewehrt.
- Als ChristInnen sind wir berufen, mitten in dieser Welt, die voll Gewalt ist, Zeug*innen seines Friedens zu sein. Wir dürfen im Geist seines Friedens leben.
- Jesus hat gesagt: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen; es hat unter uns bereits begonnen.
- Zum Reich Gottes gehört zentral die Gewaltlosigkeit. In der kirchlichen Lehre werden traditionell aber andere Aspekte des Glaubens betont.
- Die ChristInnen der ersten zwei bis drei Jahrhunderte – einschließlich der Bischöfe und „Kirchenväter“ – lehnten alles Militärische ab.
- Seit der Konstantinischen Wende (4. Jh.) wurde der Gedanke der „Nachfolge Christi“ verdrängt. Er hat nur an den Rändern der Kirche überlebt. Nachfolge Christi ist ein Leben in seinem Geist
und nach seinem Vorbild. Es geht nicht um Werkgerechtigkeit.
- Die großen Kirchen fahren noch immer zweigleisig: Wenn man mit gewaltlosen Methoden keinen Erfolg hat, dann darf man als „letzte Möglichkeit“ auch Gewalt anwenden. Wir fordern: Die Kirchen
sollen ganz auf gewaltlose Mittel setzen.
- Nicht nur der Glaube, sondern auch die Vernunft und statistische Untersuchungen [Erica Chenoweth, Why Civil Resistance Works, New York 2011] zeigen: Gewaltfreie Mittel sind in der Regel
nachhaltiger, effektiver, und kosten weniger Menschenleben als militärische Methoden. Außerdem: Gewaltfreie Methoden kosten meistens weniger Ressourcen (weniger Geld).
- Mit der Bergpredigt lässt sich sehr gut Politik machen. Beispiele: die friedliche Revolution in der DDR 1989, die Revolution in Liberia 2003 und die Rosenkranzrevolution auf den Philippinen
1986.
- Paulus schreibt: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Dies gilt auch für politische Konflikte.
- Der Aufruf zur Gewaltlosigkeit richtet sich an alle Menschen, nicht nur an wenige Auserwählte.
- Der Aufruf zur Gewaltlosigkeit gilt nicht nur für das Paradies oder eine ferne Zukunft, sondern für heute.
- Vor allem bei der Kirchenleitung herrscht die Angst, Kirchenmitglieder zu verlieren, wenn man sich gegen Rüstung und Militär aussprechen würde. Aber nicht die Angst soll unser Handeln
bestimmen!
- In der Bundeswehr arbeiten etwa 200 Militär-Geistliche. [Es gibt 100 evangelische und 100 katholische Militärpfarrstellen. Manche Stellen, vor allem auf katholischer Seite, sind nicht
besetzt. Manche Stellen sind von Pastoralreferenten etc. besetzt. Auf evangelischer Seite gibt es auch Militärpfarrerinnen. Die Militärgeistlichen werden verwaltet durch Militärdekane,
Militärbischöfe und zwei kirchlich-militärische Behörden (KMBA und EKA) in Berlin.] Diese begleiten, trösten und unterhalten die Soldaten. Auf diese Weise unterstützt die Militärseelsorge das
Militär. Die Militärseelsorge ist ein nützliches Rad in der „Militär-Maschine“. Nur selten hat ein Militärpfarrer die Soldaten aufgefordert, die Waffen niederzulegen und nach Hause zu gehen.
- Militärgeistliche begleiten Soldaten in Einsatzländer, feiern dort Gottesdienste und hören sich die Sorgen der Soldaten an. Das signalisiert: Gott ist mit euch, auch wenn ihr Gewalt anwendet.
Gott vergibt euch.
- In vielen Ländern der Erde gibt es Militär-Geistliche. Überall benutzen sie Fahrzeuge des Militärs, haben Büros in Kasernen, tragen im Einsatz militärische Kleidung und werden vom Militär
bezahlt. Nur Details sind von Land zu Land verschieden.
- Katholische Militärgeistliche segnen immer wieder militärische Fahrzeuge. Evangelische Militärgeistliche beten immer wieder für militärische Einrichtungen. [Beispielsweise betete der evang.
Militärpfarrer Andreas Kölling am 26.10.2017 für die Militär-Übungsstadt „Schnöggersburg“.] Diese unselige Praxis ist endlich zu beenden!
- Jesus Christus hat sich allen Menschen zugewendet, auch den Soldaten. Aber es ist eine Sache, sich einem Menschen zuzuwenden; es ist eine andere Sache, seine Gewalttaten begleitend zu
unterstützen.
- Soldat*innen und deren Angehörige sind als Gottesdienstbesucher*innen und Mitarbeiter*innen in unseren Gemeinden herzlich willkommen.
- Auslandspfarrer*innen unserer Kirchen, die sich um die Deutschen in anderen Ländern kümmern, könnten sich zusätzlich um dort stationierte deutsche Soldat*innen kümmern.
- Die Soldatenseelsorge der Kirchen in der DDR hat sich bewährt. Die Soldaten kamen in ihrer Freizeit in die Pfarrhäuser und Kirchen. Nach der Wende wurde dennoch das „Westmodell“ übernommen.
Das war ein Fehler. Daher nun der Reformstau.
- In evangelischen und katholischen Kirchen finden pro Jahr etwa 100 Militärkonzerte statt. Dabei werden in der Regel keine Märsche, sondern christliche Stücke gespielt.
- Bei diesen Konzerten überträgt sich die besondere Atmosphäre der Kirche und die Schönheit der Musik auf die Bundeswehr. Es ist Sympathie-Werbung für das Militär. Die Grausamkeit und
Sinnlosigkeit des Krieges wird ausgeklammert. Was würde Jesus zu Militär-Werbung in seinem Haus sagen?
- Auf Kirchentagen und Katholikentagen gibt es Auftritte der Bundeswehr-Musikkorps, Werbe-Stände der Militärseelsorge und Militärgottesdienste – mit Militärbischof und hochrangigen
Bundeswehr-Vertreter*innen. Katholikentage und Kirchentage sollten dem Frieden dienen, nicht aber dem Militär!
- So wie Jesus Christus die Händler aus dem Tempel vertrieben hat – energisch aber ohne Waffengewalt – so sollten auch wir heute alles Militärische aus den Kirchen vertreiben, vor allem die
Militärkonzerte und die derzeitige Form der Soldatenseelsorge.
- Wir fordern: Die Kirchen sollen ihren Mitgliedern empfehlen, nicht beim Militär und nicht in Rüstungsfirmen zu arbeiten. Eine solche Empfehlung fehlt bisher von Seiten der Kirchenleitungen.
- Viele Kirchengemeinden, in deren Region sich Rüstungsfirmen befinden, verschließen die Augen davor. Diese Kirchengemeinden sollten ermuntert werden, hinzuschauen, Informationen zu sammeln,
darüber zu sprechen und zu handeln.
- Nicht wenige kirchliche und kirchen-nahe Projekte werden von Rüstungsfirmen gesponsert, z.B. die Gemeindehausrenovierung. Als Gegenleistung wird Stillschweigen erwartet.
- Auf Panzern, Kriegsschiffen und Militärflugzeugen sieht man das christliche Kreuz. Die Kirchen sollten gegen diesen Missbrauch des Kreuzes intervenieren.
- Die meisten internationalen Konflikte werden ohne Gewalt beigelegt. Es gibt zahlreiche Projekte der Völkerverständigung. Es gibt erfolgreiche Bemühung, bestimmte Waffenarten zu ächten. Es
gibt Organisationen, die wissen, wie man bei Konflikten gewaltlos eingreifen kann: Peace Brigades International, Nonviolent Peaceforce, Christian Peacemaker Teams, Bund für Soziale Verteidigung,
Forum Ziviler Friedensdienst und andere. Die Kirche sollte diese Organisationen und Projekte stärker unterstützen.
- Die Religionen – auch das Christentum – soll dem Frieden und der Gerechtigkeit dienen. Die Religionen sollen nicht länger das Militär, die Rüstung und den Krieg unterstützen.
- Der Prophet Micha: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen,
Krieg zu führen.“
Wittenberg, 14.8.2014, hier in der Fassung vom 1.6.2019